Freitag, 13. April 2012

Von wo kommt das Pouletbrüstli und was ist ein Fady?

Wie ihr aus dem vorletzten Bericht wisst, kann man das Frischfleisch bei uns auf dem Markt kaufen. Was ich noch nicht erwähnt hatte war, dass man natürlich auch lebende Tiere kaufen kann. Seien dies grössere Tiere wie Zebus (die hiesigen Kühe), Ziegen und Schafe auf Märkten ausserhalb des Stadtzentrums oder kleinere Viecher wie Hühner, Gänse und Enten gleich neben dem Gemüsemarkt.

Vor einigen Wochen hat uns Thanias Mutter besucht. Zu diesem Anlass haben wir ein Huhn gekauft, welches wir im Solarofen gebraten haben. Vor dem Braten muss man den Gummiadler natürlich zuerst rupfen und ausnehmen. Dies wiederum geht verständlicherweise nur, wenn das Tier nicht mehr lebt - also muss man es schlachten. Nun ist es aber so, dass es für madagassische Frauen verboten ist, Hühner zu schlachten. Dies ist nicht etwa vom Gesetz her so geregelt, sondern kulturell bedingt. Diese Verbote, oder auch Tabus genannt, werden im Madagassischen als "Fady" bezeichnet.

Es gibt viele verschiedene Fady in Madagaskar, welche unter anderem eine Person oder einen Ort betreffen können. Es kann zum Beispiel sein, dass man gewisse Orte in einem Dorf nur Barfuss betreten darf, es ist also Fady - Tabu, verboten - diesen Ort mit Schuhen zu betreten. Auch ein Baum kann Fady sein, er darf also nicht gefällt werden. Diese Fady werden mündlich überliefert und haben ihren Ursprung bei den Vorfahren, welche in der madagassischen Gesellschaft einen sehr wichtigen Stellenwert haben. Respektiert man ein Fady nicht, verärgert man somit die Ahnen.
Die Anwendung der Fady hängt nicht nur vom Ort, sondern auch von der ethnischen Gruppe (offiziell gibt es zirka 20 in Madagaskar, aber in Wirklichkeit gibt es viele andere (Unter-)Gruppen) der Person ab. Für eine Person aus dem Hochland gelten also nicht zwingend die gleichen Fady wie für eine Person von der Küste. Thanias Mutter zum Beispiel kommt von Manakara an der Ostküste und gehört zur ethnischen Gruppe der "Antemoro". Thanias Vater hingegen stammt aus Tana und ist ein "Merina". Während es für Thanias Mutter Fady ist, einen Hund zu halten, bedeutet dies für Thanias Vater kein Problem. Haben sie nun trotzdem einen Hund und kommt der Grossvater aus Manakara zu Besuch, muss der Hund weggesperrt werden, damit ihn der Grossvater nicht sieht und somit sein Fady respektiert wird.
Die ganze Fady-Geschichte ist sehr komplex und für Aussenstehende wie mich meist nur schwer nachvollziehbar. Gleichzeitig ist dieses Thema aber auch sehr spannend - mal lustig, mal erstaunlich, dann wieder traurig. Lustig zum Beispiel, wenn Katzen Fady sind (vor allem in Tuléar und Umgebung) und sich Buschauffeure oder auch Passagiere weigern, diese zu transportieren, während Hühner und Enten, ja sogar Ziegen haufenweise auf den Dächern von Taxi-Brousse anzutreffen sind. Erstaunlich, wenn jemand seinen eigenen Namen nicht nennen darf, weil dieser für ihn etwas sehr wertvolles ist (wenn man diese Personen nach ihrem Namen fragt, muss eine andere Person antworten). Traurig, wenn 14jährige Mädchen von alten Männern als fünfte Ehefrau genommen werden (das gibt es auch hier in Madagaskar, nicht nur in muslimischen Ländern). Oder wenn bei Zwillingen eines der beiden Babys getötet oder ausgesetzt wird, weil das sonst einen Fluch über das ganze Dorf bringen würde (dieses Fady ist vor allem in der Region um Mananjary an der Ostküste Madagaskars verbreitet).

Aber zurück zu unserem Huhn: es musste also von einem Mann geschlachtet werden. Da mein Stolz nicht zuliess, den Wächter für diese Arbeit zu holen, habe ich es halt selber getan:
Es ist eindrücklich, wie viel Kraft so ein kleines Tier entwickelt, wenn es sein nahes Ende kommen sieht.
Gerupft und ausgenommen haben es dann Thania und ihre Mutter.
Voilà, fast wie vom Metzger.
Das erste Poulet in unserem Solar-Ofen.
Und das Resultat lässt sich nach zirka dreistündiger Bratzeit sehen!
Danach stand eine Fahrt mit dem Pousse-pousse und...
... ein Strand-Plausch auf dem Programm.
Ich wünsche euch ein erholsames Wochenende. Nach dem Besuch von Toky und Judy (Thanias Bruder und Sohn der Cousine) steht bei uns zumindest am Samstag "Hütte-Putzen" auf dem Programm :-)

Liebe Grüsse aus dem langsam aber sicher nicht mehr allzu heissen Tuléar.

Matthias

2 Kommentare:

  1. Hallo Matthias
    Die madagassischen Fady’s sind für uns Europäer wirklich nur schwer nachvollziehbar. Aber wie sagt es der Volksmund doch so schön: andere Länder – andere Sitten.
    Das Resultat deiner Schlachtkunst lässt sich sehen. Warum ist es den Frauen verboten Hühner zu schlachten? Uns würde noch interessieren, warum der Kopf dran bleibt. Hat dir das gebratene Huhn eigentlich geschmeckt oder ist dir der Appetit danach vergangen?
    Wir wünschen euch einen tollen Wochenstart.
    Liebe Grüsse aus dem CH Ländle
    Papi & Ursula

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  2. Hallo,

    Für die Frauen ist es Fady, Hühner zu schlachten. Von wo dieses Fady kommt oder wieso genau das so ist weiss ich aber auch nicht. Der Kopf ist nicht dran, das was man sieht ist der Hals. Das Huhn hat sogar ganz vorzüglich geschmeckt. Nein, der Appetit ist mir nicht vergangen, wieso auch :-)

    Liebe Grüsse

    Matthias

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